L'autore:
Batya Gur, geboren 1947 in Tel Aviv als Kind polnischer Einwanderer, arbeitete zunächst als Lehrerin und Journalistin, bevor sie mit ihren Kriminalromanen um Inspektor Ochajon von der Jerusalemer Polizei internationalen Ruhm erlangte. Für ihren ersten Roman "Denn am Sabbat sollst Du ruhen" (1992) erhielt sie den deutschen Krimipreis. Ihre Ochajon-Romane wurden weltweit zum berühmten Markenzeichen literarisch-intelligenter Kriminalunterhaltung, und in ihrer Heimat galt sie als Begründerin des israelischen Krimi-Genres. In allen ihren Romanen spielte aber auch die Auseinandersetzung mit der israelischen Gesellschaft und Politik eine ganz wesentliche Rolle.
Neben der schriftstellerischen Tätigkeit war Batya Gur als bedeutende Literaturkritikerin bekannt. Viele Jahre schrieb sie eine regelmäßige Literaturkolumne für die angesehene israelische Tageszeitung "Ha'aretz". Batya Gur lebte mit ihrer Familie in Jerusalem. Am 19. Mai 2005 starb sie in ihrer Heimatstadt an Krebs.
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Es würde, das wußte Schlomo Gold, noch Jahre dauern, bis er sein Auto vor dem Institut parken könnte, ohne eine kalte Hand zu spüren, die nach seinem Herzen griff. Er dachte manchmal sogar, das Institut solle seinen Sitz verlegen, damit ihm diese immer wiederkehrende Panik erspart bliebe. Auch die Möglichkeit, seine Patienten an einem anderen Ort zu behandeln, hatte er schon erwogen. Aber seine Supervisoren waren der Ansicht, daß in seiner Situation innere Prozesse nötig seien, keine äußeren Veränderungen.
Noch immer klangen die Worte des alten Hildesheimer in ihm nach. Es gehe doch nicht um das Gebäude, hatte der Alte gesagt, nicht das Gebäude versetze ihn in Angst, sondern das, was jenes Ereignis in ihm ausgelöst habe. Seit jenem Tag hörte Gold den Alten jedesmal, wenn er sich dem Haus näherte, er hörte den schwerfälligen deutschen Akzent, er hörte diesen einen Satz: Mit seinen Gefühlen solle er sich auseinandersetzen, nicht mit Wänden aus Stein.
Allerdings, so hatte Hildesheimer dann gesagt, sei es eine Tatsache, daß es um seine, Golds, Analytikerin gegangen sei, und das müsse man in Rechnung stellen. Vielleicht sollte er versuchen, sich den "Schwierigkeiten zu stellen und dann an ihnen zu wachsen", hatte der alte Mann gesagt und Gold mit einem kühlen, durchdringenden Blick angesehen. Schlomo Gold aber, der einmal sehr stolz gewesen war, als man ihm die Schlüssel zum Gebäude ausgehändigt hatte, konnte sein Zimmer im Institut nicht mehr betreten, ohne von Entsetzen gepackt zu werden.
Wenn er nur daran dachte, was er alles hatte durchmachen müssen, bis man ihm die Schlüssel überhaupt anvertraute. Erst Ende seines zweiten Jahres als Kandidat trat die Unterrichtskommission zusammen und fand ihn geeignet, sich tatsächlich als voller Analytiker zu versuchen und seinen ersten Patienten (selbstverständlich unter Supervision) zu behandeln. Und nun war alles dahin, der Stolz über die Schlüssel und die Freude über das Besitzrecht an dem Haus, die ihn jedesmal überkommen hatte, wenn er die Tür öffnete - nichts würde wieder so werden wie es war, seit jenem Sabbat.
Einige machten sich lustig über Golds gefühlsbetonte Beziehung zu dem Gebäude, das sich das Institut zum Sitz gewählt hatte. Bis zu jenem Sabbat pflegte Gold jedem Gast, der nach Jerusalem kam, das Haus zu zeigen. Er tat das immer aus freien Stücken und verbarg nie sein Zugehörigkeitsgefühl zu dem Ort. Er hatte seine Arme ausgebreitet, als wolle er das Haus umarmen, seine beiden Stockwerke, die runde Veranda, den kleinen Park, in dem zu jeder Jahreszeit Rosen blühten, die Steintreppen, die sich zu beiden Seiten der Veranda wanden und zur Haustür führten. Dann hielt er inne und erwartete einen Ausdruck der Begeisterung, die Zustimmung, daß dieses herrliche Gebäude wirklich seinem Zweck gerecht wurde.
Das alles war verschwunden. Seine Naivität, die rückhaltlose Verehrung, das Zugehörigkeitsgefühl zu einer geheimen Verbindung, der Stolz auf den ersten Patienten - alles wich dem Gefühl einer quälend-drückenden Belastung, und die nackte Angst verfolgte ihn seit jenem Sabbat, den er den "schwarzen Sabbat" nannte - jenem Sabbat, für den er sich freiwillig gemeldet hatte, um das Haus vorzubereiten für Eva Neidorf, die gerade nach einem vierwöchigen Aufenthalt bei ihrer Tochter in Chicago zurückgekehrt war und die einen Vortrag halten sollte.
An jenem Sabbat hatte er sich dem Gebäude genähert, ohne zu ahnen, daß sich sein Leben gänzlich ändern sollte. Ein Sabbat im März, mit Sonne und zwitschernden Vögeln, an dem Gold, da er vor der Begegnung mit Neidorf aufgeregt war, sein Haus frühzeitig verließ, um den Saal in Ordnung zu bringen und die Stühle aufzustellen, die zusammengeklappt im Lagerraum standen, und den großen Wasserkessel mit Wasser zu füllen. Alle, das wußte er, wollten am Sabbatmorgen eine Tasse Kaffee. Die Vorlesung sollte um halb zehn beginnen, und einige Minuten vor neun glitt sein Auto die Straße hinab.
In Jerusalem herrschte die Ruhe eines Sabbatmorgens, und das Viertel, an dem er vorbeifuhr und das auch sonst immer ruhig dalag, war jetzt in völliges Schweigen gehüllt.
Gold atmete die frische, reine Luft ein und wich aufmerksam der schwarzen Katze aus, die den Fahrdamm mit großartiger Gleichgültigkeit überquerte. Er lächelte über den Aberglauben angeblich vernünftiger Menschen, über die Furcht vor schwarzen Katzen, doch auch darüber sollte er später nicht mehr lächeln. Die bevorstehende Vorlesung ließ eine besondere, aufgeregte Erwartung in ihm aufglimmen: Er sollte seine Analytikerin nach ihrem vierwöchigen Urlaub wiedersehen.
Im Laufe der vier Jahre, in denen Neidorf Golds Analytikerin gewesen war, hatte er einige ihrer Vorlesungen gehört, und jede war ein aufwühlendes Erlebnis gewesen. Sicher, stets war ein gewisses Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit in ihm aufgekeimt, der dumpfe Verdacht, daß er niemals ein wirklich großer Therapeut werden würde. Aber das wurde immer aufgewogen von dem einmaligen Erlebnis selbst und dem Bewußtsein, daß er teilhatte an der seltenen Gottesgabe, über die Eva Neidorf verfügte - die gesegnete Intuition, das absolute Wissen, wann man einem Patienten was sagen muß, und das präzise Gespür für das erforderliche Maß Wärme; und er wußte, daß er all dies von ihr bekommen hatte, als er ihr Patient gewesen war.
In dem Rundschreiben des Instituts, in welchem die Veranstaltung angekündigt worden war, stand auch der Vorlesungstitel: "Einige Aspekte der ethischen und forensischen Probleme bei der analytischen Behandlung". Niemand ließ sich von den Worten "einige Aspekte" beirren. Schlomo Gold wußte, daß die heutige Vorlesung, die mit einer bescheidenen Einleitung eröffnet werden würde, die ganze Weite der Fragestellung umfassen würde. Er wußte, daß auch diese Vorlesung, in den Fachzeitschriften veröffentlicht, erregte Debatten auslösen würde, und er genoß die Vorstellung, daß er die kleinen Änderungen erkennen würde, die Dr. Neidorf vor der Veröffentlichung an dem Aufsatz vornehmen würde. Er würde sich wieder in dem berauschenden Gefühl ergehen können, daß er "wirklich dabeigewesen war", wie jemand, der im Radio ein Konzert hört, das er bereits live im Konzertsaal erlebt hat.
Gold parkte sein Auto vor dem Eingang zum Gebäude, die Straße gehörte ihm noch ganz. Aus dem Handschuhfach nahm er den Schlüsselbund des Instituts - er hielt ihn stets getrennt an dem sich die Schlüssel zur Haustür, zum Telefonschloß und zum Lagerraum befanden.
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