Trendbuch Internationalisierung: Wie Ihr Unternehmen vom Wandel profitiert - Rilegato

Bevor Paul A. Laudicina CEO der internationalen Strategieberatung A.T. Kearney wurde, leitete er A.T. Kearneys Global Business Policy
Council - ein Frühwarnsystem für ökonomische, aber auch technologische, gesellschaftliche und geopolitische Einflüsse, die die
globale Wirtschaftswelt verändern. Davor war er über zwanzig Jahre lang in verschiedenen Positionen in Wirtschaft und Forschung zum Thema Internationale Strategie tätig.

Szenarien und Wild Cards

Die fünf Einflussfaktoren beschreiben eine zunehmend komplexe Welt, in welcher der Wandel einfach dazu gehört. Doch sie liefern auch ein Denkgerüst, um die wichtigsten Veränderungen zu bestimmen und zu untersuchen. Die gesammelten Erkenntnissen zu allen fünf Faktoren können wir zu einem Gesamtbild zusammenfügen, das uns einen ersten Eindruck vom künftigen Geschäftsumfeld vermittelt.
Jeder Einflussfaktor wird in einem eigenen Kapitel beschrieben, und jedes dieser Kapitel schließt mit drei Teilszenarien - also einem
Spektrum an möglichen Resultaten, entsprechend den möglichen Entwicklungspfaden des betreffenden Einflussfaktors sowie den potenziellen Folgen. Diese Teilszenarien fließen wiederum in drei übergreifende Szenarien ein, die veranschaulichen, welche Grundbedingungen für das globale Geschäftsumfeld der Zukunft gelten könnten. Die drei Szenarien beziehen sich auf das Jahr 2015 und sind vom möglichen bis hin zum wahrscheinlichen abgestuft.
Basierend auf unserer heutigen Einschätzung der fünf Faktoren, halten wir das Szenario "Offene Grenzen, anhaltende Ängste" für das wahrscheinlichste: Es beschreibt eine bipolare Welt, die von den Vereinigten Staaten und China dominiert wird - eine Welt mit klar umrissenen, häufig komplementären wirtschaftlichen und geopolitischen Einflussbereichen, die wiederum zu einer relativ stabilen neue Weltordnung beitragen. In diesem Szenario existiert für die Wirtschaft ein weitgehend offenes und integriertes globales Geschäftsumfeld, wenngleich mit Uneinigkeiten und Störungen in manchen Märkten, häufig verkompliziert durch ein verkrampftes Verhältnis zwischen Politik und Industrie.
Wohl gemerkt: Das Eintreffen eines bestimmten Szenarios wird weder gut noch schlecht für alle Unternehmen sein. So wird es beispielsweise bei geopolitischen Spannungen und Unruhen den verteidigungsnahen Branchen besser gehen als der Reise- und Tourismusbranche. Doch wenn sich ein Unternehmen über die wahrscheinlichsten globalen Geschäftsbedingungen der Zukunft Gedanken gemacht hat, wird es ihm auch leichter fallen, mit den Bedingungen der Gegenwart zurecht zu kommen.
Natürlich geht es hier nicht darum, die Zukunft vorherzusagen - vielmehr gilt es, besser als die Konkurrenz auf potenzielle Entwicklungen vorbereitet zu sein und sich im Zuge dessen auch gegen alltäglichere Geschäftsrisiken besser zu schützen. Dass jede Nachlässigkeit hier gravierende Konsequenzen haben kann, musste unter anderem der schwedische Telekom-Ausrüster Ericsson aus bitterer Erfahrung lernen: Als das Werk eines wichtigen Zulieferers in New Mexico von Blitz getroffen wurde und zum Teil ausbrannte, bemerkte man bei Ericsson wochenlang nichts von den Störungen in der Lieferkette - der Hauptwettbewerber Nokia dagegen, der vom selben Zulieferer abhängig war, hatte für solche Fälle einen Notfallplan parat und setzte ihn binnen Tagen um. Bis zum Jahresende hatte Nokia seinen Marktanteil ausgebaut, während Ericsson 1,7 Milliarden Dollar Verlust auswies und die Endgerätefertigung an eine andere Firma outsourcte.19
Veränderungen vollziehen sich so schnell und sind teils so schwer zu orten, dass sichere Vorhersagen kaum möglich sind. Zudem
begünstigen Prognosen mitunter eine gewisse statische Haltung nach dem Motto "Aufschreiben und vergessen", so dass neue Informationen und Entwicklungen leicht übersehen werden. Nein, Zukunftsvisionen dieser Art sind keineswegs als gesichert zu betrachten. Exogene Kräfte mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit, aber potenziell sehr starken Auswirkungen können selbst das ausgeklügeltste Szenario über den Haufen werfen, wie sich in der Geschichte mehrfach gezeigt hat. Dass solche ›Wild Cards‹ neue Entwicklungen sehr negativ beeinflussen können, liegt auf der Hand. Man führe sich nur einmal die naheliegendsten vor Augen: weltweite Epidemien etwa oder verheerende Attacken durch Computerviren, größere Kriege oder den Zerfall wichtiger Länder wie China oder Indonesien. Aber auch positive Schocks sind möglich - das war in der Vergangenheit etwa bei großen Erfindungen zu beobachten. Wir könnten schon in den
nächsten Jahren weitere Quantensprünge erleben, beispielsweise dank neuer Errungenschaften der Informationstechnologie, der Biowissenschaften und der Nanotechnologie.